es folgte etwa eine Woche in Trance. ich kann mich wirklich an nichts mehr erinnern. anscheinend hat mein Gehirn ausgesetz aber auch meine Gefühle hatten sich abgestellt. Schocksituation! wahrscheinlich so eine Art Schutzmechanismus.
aber eines Tages bin ich aufgewacht und habe gedacht: ICH MUSS ETWAS TUN!!! aber was? wo soll ich hin gehen? wer kann mir helfen? dazu kamen natürlich auch noch unsere existenziellen Ängste. 6 Monate ohne Diagnose hatten sichtliche Spuren in unserem leben hinterlassen. die Hoffnung das ich oder mein Mann wieder arbeiten gehen könnten-dahin. das Geld, dass wir vom Amt bekamen war wenig, aber immerhin, wir konnten überleben. dazu kamen noch die sorgen mit den Kindern. wie sollten wir ihnen erklären was mit mir los ist? mein kleiner fragte mich jeden Tag ob ich heute wieder mit ihm Fußballspielen kann? ich hätte jedesmal heulen können. wie erklärt man soetwas den Kindern? ich musste irgendetwas tun, wenigstens das Gefühl haben etwas zu tun. ich nahm zwar meine Tabletten “Rilutek”, aber sie gaben mir nicht das Gefühl das ich damit etwas bewegen würde.
ich entschloss mich zu einer Beratungsstelle zu gehen. meine Wahl fiel auf eine Diakonie-Station. bereits zwei tage später hatte ich einen Termin. und ich muss sagen, das war genau das richtige! wir wurden ausführlich über unsere Möglichkeiten informiert und bekamen noch weitere wertvolle Adresse.
mittlerweile kamen auch meine Lebensgeister wieder. langsam erkannte ich mich teilweise wieder. aber viele sorgen und vorallem Ängste blieben.
der nächste schritt der absolut notwendig war: umziehen! wir wohnten im ersten Stock- eigentlich war es eine Übergangslösung um besser zurecht zu kommen, aber nun war die Treppe nach unten zu einem fast unüberwindbaren Hindernis geworden, und so verbrachte ich die meiste zeit im Wohnzimmer. ich fühlte mich nutzlos und ungebraucht. da mein vorrübergehender Rollstuhl ungemütlich war, verbrachte ich nicht gerne zeit in ihm. und da die Wohnung zu klein war um sich mit ihm in ihr zu bewegen war eben das Sofa im Wohnzimmer mein Tagesaufenthalt. zu dem Gefühl der Nutzlosigkeit gesellte sich ziemlich schnell das Gefühl des schlechten Gewissens. ständig lag ich auf dem Sofa rum. fast alles musste mein Mann erledigen. Haushalt, essen und Wäsche machen, einkaufen, mit dem Lütten draußen spielen, Gänge zum Amt und so weiter und dann musste er sich auch noch so viel um mich kümmern und mir helfen. die Kinder kamen aus der schule und ich lag auf dem Sofa- wie sie sich wohl dabei fühlen? mein großer fing an viele aufgaben zu übernehmen und er tat mir so Leid, er sollte doch Kind sein auch wenn er schon 14 ist. mein mittlerer fing an aufeinmal irgendwie gehässig zu werden und mein kleiner versuchte mich mit blödsinn aus der Reserve zu locken, vielleicht könnte ich doch aufstehen und wollte nur nicht? eine belastende zeit. Kontakte nach außen hatte ich eigentlich gar nicht mehr. aber das war auch gut so. ich wollte nicht aussprechen was ich hatte und wollte auch nicht das mich Menschen von “vorher” auf einmal im Rollstuhl sitzen sehen. die Verwandlung ging mir einfach zu schnell. von einer selbständigen und offenen Frau in eine hilfebedürftige scheue kleine Frau.
aber ich muss auch sagen das ich auch ganz weltliche sorgen hatte. wie sollte ich meine Beine rasieren oder meine Augenbrauen zupfen? meine Frisur war nicht dazu gedacht das man sie auf Grund der fehlenden Kraft in den armen morgens nicht mehr föhnen kann. meine Klamotten waren viel zu unbequem um damit den ganzen Tag zu liegen oder im Rollstuhl zu sitzen und außerdem sind sie zu eng geworden, denn das erste mal in meinem leben habe ich aus Frust gegessen und da ich mich kaum bewegte setzten die Seelentröster auch zügig an. 7 Kilo hatte ich zu verbuchen.
mein zwischenstand:
7 Kilo zugenommen, Augenbrauen nicht gezupft, Haare nicht frisiert, Beine nicht rasiert, schminken schon lange abgewöhnt, Klamotten wie sonst im Freizeitlook, Stimmung: nachdenklich und getrübt…
es galt sich also neu zu definieren.
ich möchte nicht das hier nun der eindruck entsteht das ich oberflächlich bin, aber das Ego trägt doch beträchtlich zum wohlbefinden bei.
unser nächster Gang war zum Integrationsamt, eher gesagt kam die nette Frau zu uns. das war sehr nett. wir bekamen viele , viele Informationen. aber das beste war das sie ein gutachten über die Wohnung schrieb in der wir wohnten und so ermöglichte sie es uns schnell um zu ziehen. nun haben wir ein schönes Haus im gleichen Ort alles was ich brauche ist im untergeschoss und gut zu erreichen wir haben einen kleinen Garten und eine Terrasse, nur die Kinderzimmer der beiden großen sind oben, aber ich glaube das finden die beiden gar nicht so schlimm so kann ich wenigstens nicht ihre Unordnung sehen. außerdem schickte sie auch ihre Kolleginnen zu uns . so kam zum beispiel eine mitarbeiterin zu uns die mit uns über die pflegestufen redete und mit uns sozusagen “übte”. das hat uns sehr geholfen und brachte für uns einen großen aha-Effekt. vorher hatten wir noch nie darüber nachgedacht wie oft ich eigentlich am Tag auf´s Klo muss…
eine mitarbeiterin war übrigens auch dabei als der MDK zu uns kam. das hat uns sehr beruhigt, denn ich hatte viele erschreckende beiträge zur Begutachtung im Internet gelesen. aber es war gar nicht schlimm, der nette Herr vom MDK war sehr nett und stufte mich in die pflegestufe 2 ein. tja sollte ich mich jetzt freuen?
außerdem kam eine Mitarbeiterin um über die Situation mit den Kindern zu sprechen, auch das hat uns sehr geholfen.
Fazit ist: holt euch Hilfe!!! vieles weiß man garnicht. ich habe festgestellt das es wieder erwarten sehr viel Hilfe gibt wenn man welche braucht. allerdings habe ich auch leider schon oft gehört das es nicht überall so ein gutes Netzwerk gibt.
mittlerweile waren wir nun also umgezogen. ich fühlte mich, nach dem Frust das ich nicht aktiv helfen konnte, wie neu geboren. alles war hell und freundlich ich konnte ohne Probleme nach draußen und jeden Raum erreichen, nun musste ich nur noch gesund werden…
gesund wurde ich nicht, aber uns allen ging es sehr viel besser und wir schöpften Kraft um weiter zu machen.
also nahm ich mir meinen Arztbrief vor. ich übersetzte fast jedes Wort mit Hilfe des Internets, ich kannte jeden Muskel, der erwähnt wurde. wie mein Gehirn aufgebaut war und was da nicht “funktionierte”. mit dem Ergebnis, dass ich wohl tatsächlich ALS hatte.
mein nächster schritt bestand also darin, die Untersuchungen anzuzweifeln. vielleicht wurden sie nicht gründlich genug gemacht? – nein, sie wurden gründlich gemacht, teilweise sogar zwei mal. vielleicht hat der Arzt mich nicht gründlich genug untersucht? – nein, ich wurde von mindestens 6 Ärzten untersucht, darunter mehrere oberärzte und Chefärzte, ich wurde sogar in ein anderes krankenhaus gebracht. vielleicht haben sie mich schlicht und einfach nur verwechselt? – nein, das konnte auch nicht sein! aber… vielleicht geht es mir ja schlicht und einfach bald besser, dann könnte es ja gar kein ALS sein…
ich beschloss also mir ersteinmal keine zweite Meinung einzuholen. ersteinmal weil ich mich psychisch nicht in der Lage fühlte das nocheinmal gesagt zu bekommen und zweitens weil ich ja im krankenhaus mehr als gründlich untersucht wurde.
kurz darauf war ich eh am Boden zerstört denn meine Kräfte schwanden immer weiter, langsam aber kontinuierlich. die tage an denen sich mein zustand merklich verschlechtert hatte waren und sind schlimme tage für mich. oft kamen tage an denen ich zu gar nichts mehr Lust hatte. am Anfang hatte ich nochmal probiert etwas zu machen, z.b. wieder anzufangen zu malen, aber ich schaffte es meistens nicht ein Bild fertig zu machen meine arme waren einfach zu schwer und wie ich fand waren meine Bilder auch lange nicht mehr so schön wie die von früher. “früher…da habe ich noch Geld für meine Bilder bekommen und hatte hier und da mal eine kleine Ausstellung” irgendwann traute ich mich gar nicht mehr irgendetwas auszuprobieren- ich wollte mich einfach nicht frustrieren. auch in die Öffentlichkeit zu gehen viel mir immer schwerer, alles war so umständlich geworden. was waren wir froh als wir endlich keinen Kinderwagen mehr ins Auto laden mussten und nun muss der Rolli mit. davon mal abgesehen das er und die drei Kinder gar nicht in unseren kleinen Fiat hinein passten. entweder der Rolli und ein Kind oder eben unsere drei Kinder und nicht der Rolli, was natürlich bedeutete das ich auch nicht mitkonnte. aber darüber brauchten wir uns auch nicht mehr allzu lang ärgern, denn unser Auto gab eh den Geist auf. na toll jetzt hatten wir also gar kein auto mehr! meine Eltern reagierten sofort und liehen uns ihren Kangoo was für ein Luxus. alle hatten Platz, wir, die Kinder, der Rolli und sogar noch der einkauf.
nun waren wir also endlich wieder mobil. ich mahlte mir schon aus wieviel Spaß alles wieder machen würde
aber irgendwie wollte der richtige Spaß nicht aufkommen. ich wollte also mitkommen einkufen gehen zum Aldi. gutgelaunt fuhr mein Mann mit mir dort hin. aber da ich schon seit Mai auf meinen schwerbehindertenausweis warte um auf einem Parkplatz für Rollstuhlfahrer zu parken hätte ich es eigentlich nicht gedurft- wir taten es trotzdem, denn die anderen Parkplätze waren für mich zu eng zum aussteigen. dann ab zu Aldi wir stellten fest das es ja unmöglich ist das mein Mann mich schiebt und den Einkaufswagen, also könnten wir nur die wichtigsten Sachen kaufen. nun aber rein! leichter gesagt als getan. ein Drehkreuz- sonst kaum beachtet- nun nicht zu überwinden. war auch nicht zu überwinden, kein mitarbeiter weit und breit. hinter mir schon eine ziemlich lange Schlange “oh Gott wie unangenehm” mein Mann wollte zur Kasse und Bescheid sagen, aber ich und die Meute hinter mir wurden langsam ungeduldig. also es half nichts ich musste unter diesem Ding durch unter denen man sonst die Einkaufswagen durchschiebt. während mein Mann versuchte diese orangenen Dinger von innen hoch zu halten, damit sie mir nicht ins Gesicht fielen, war wenigstens einer der ungeduldigen bereit mich etwas an zu schieben. beinahe hätte ich mich noch dafür entschuldigt das ich im Rollstuhl sitze und nicht schnell durchs Drehkreuz huschen konnte. warum sind alle Menschen immer so in eile? so nun war ich aber endlich drin. der laden sah von “unten” ganz anders aus. ich hab mir erstmal ein paar leckere Sachen ausgesucht.
Sachen zum Auto und nochmal schnell in den Klamottenladen, vielleicht finde ich eine günstige, bequeme Hose für mich. mir ist nie aufgefallen das die Klamotten so weit oben hängen, sah richtig beeindruckend aus. nach einiger zeit – nichts gefunden. die Lust ist mir vergangen. konnte nicht anprobieren und meine arme hielten nicht um die Ständer durch zu blättern und meinem man jedes mal erklären:”links, das dahinter, nein, das andere, zeig nochmal, kann ich das nochmal in schwarz sehen? zeigst du mir das da oben noch mal, ist das meine Größe?” hatte ich keine Lust, auch wenn mein Mann das mit einer Engelsgeduld und richtig süß gemacht hat.
neues Fazit: shopen bringt keinen Spaß mehr!
und das schwarz auf weiß hier auf der Homepage einer 34jährigen Frau. kann man kaum glauben, oder?
nun versuchte ich mich beim ausruhen. ich nahm mir vor mich bei gutem Wetter in den Strandkorb auf der Terrasse zu legen. ich konnte ein bisschen in der sonne legen, den Kindern beim spien zu sehen- was will man mehr? aber nach kurzer zeit fand ich das garnicht mehr so toll. ach was hab ich mir das früher immer schön vorgestellt. einfach nur rumhängen und nichts tun und vorallem nichts müssen, aber nun wo es so war, war es so öde, ganz anders als in meinen vorstellungen. es hatte auf einmal nicht mehr so ein Reiz. das besondere war doch früher bei den kleinen auszeiten die man sich genommen hat oder nehmen konnte, das tolle das man es sich einfach gegönnt hat. und man wusste genau: eigentlich hätte man so viel zu tun… und nun lag ich hier im Strandkorb und schaute eine weile den Kindern beim spielen zu. sie machten eine Wasserschlacht. sie waren so vergnügt. früher hätte ich garantiert mitgemacht. dann versuchte ich etwas zu entspannen, aber darin war ich noch nie besonders gut. also lesen? nein, da hatte ich keine Lust zu.
also wenn man nichts machen muss ist es ziemlich furchtbar nichts zu machen! und nichts machen zu können, obwohl man etwas machen möchte, ist noch viel furchtbarer! ist das logisch?
also beschloss ich wieder einmal eine frage im DGM-(deutsche Gesellschaft für Muskelkranke) Forum zu stellen, womit sich andere betroffene beschäftigen. ich bekam ein paar antworten das sich viele mit dem Computer beschäftigen.
das hatte ich ja auch schon probiert. aber irgendwann gingen mir die fragen aus, die ich dem Internet stellen konnte. manchmal schaute ich mir sogar schon links an sie in der Werbung vor kamen um etwas “googeln” zu können. und ich muss echt sagen, das ich die Vormittagssendungen auch nicht mehr abkonnte. und ich dachte: “was soll ich denn noch mit dem Computer machen?” und ich legte den Gedanken erstmal beiseite.
und irgendwann kam dann der Tag an dem ich dachte ich kann etwas tun. ich kann informieren, mich mitteilen und so viele Menschen erreichen und kennenlernen. vielleicht kann ich im kleinen etwas ändern. vielleicht wird morgen ein behinderter Mensch anders angesehen, vielleicht wird ein Restaurant oder ein Hotel anders geplant, vielleicht kann ich Mut machen und ehrlich sein, vielleicht kann ich etwas schaffen
und ich setzte mich ran und gestaltete meine Homepage. ich erzählte niemanden etwas, nichtmal meinen Mann bis alles feststand. das ist nun meine aufgabe! und ich freue mich.
ich freue mich über die e-Mails, die ich wegen dieser Homepage bekommen habe und über die Gästebucheinträge von euch!
und von nun werde ich versuchen regelmäßig zu schreiben, eine Art tagebuch zu führen. und ich würde mich freuen wenn ihr mich ein Stück des Weges begleitet.
“an dieser stelle möchte ich mich ganz doll bei meinen Eltern, meiner Schwester und ihrem Mann und bei Irena und ihrer Familie bedanken die so doll beim Umzug geholfen haben. außerdem möchte ich mich bei Frau H. vom Integrationsamt bedanken die diesen Umzug durch ihr gutachten in so kurzer zeit möglich gemacht hat, und bei unserem vorherigen Vermieter der uns kurzfristig aus unserem Mietvertrag entlassen hat.” und natürlich möchte ich auch den anderen mitarbeitern der Beratungsstellen danken, die uns einen weg aus dem Dschungel gezeigt haben und dies auch immernoch tun!”
mittlerweile beschlich mich immer öfter das Gefühl, dass ich vielleicht doch nicht ALS hatte. sogar nachts träumte ich, dass ich wieder laufen könnte. morgens wachte ich auf und alles war so unrealistisch. nicht mehr laufen können passte doch so gar nicht zu meiner Natur. ich setzte mich also mit dem Gedanken auseinander eine zweite Meinung einzuholen. bei dem Gedanke das die Ambulanz mir sagen würde das sie nicht der Meinung war das es ALS ist stiegen Glücksgefühl in mir auf. allerdings gesagt zu bekommen das sie auch zu dem Ergebnis gekommen seien das es ALS ist, machte mir angst. die letzte Hoffnung zerstören? ein tagelanges hin und her begann. ich redete mit so ziemlich jeden darüber, ich glaube auch mit denen die das gar nicht hören wollten. manche empfahlen mir eine zweite Meinung wegen dem “Protokoll”. manche sagten lieber gar nichts dazu. kann man ja auch verstehen. also quetschte ich meinen Hausarzt aus, doch der machte mir nicht allzu große Hoffnungen das es etwas anderes sein könnte. die nette Ärztin aus dem Albertinenkrankenhaus hatte ihn bereits angerufen, als ich noch im krankenhaus war und ihn darüber in Kenntnis Gesetz wie meine Diagnose aussah. sie hatten alles lange diskutiert.
im Arztbrief standen Sachen wie z.b. – …in der Flair und der t2w zeigen sich abnorme strichförmige seitengleiche Signalsteigerungen am hinteren Schenkel der capsula interna und in den cruscerebribds… – …eindeutige gliöse Veränderungen entlang der Pyramidenbahn bds ….
aber der Satz war der schlimmste : …dies soll nach literaturangaben pathognomisch für eine ALS sein!
…anhand der Anamnese, der elektrophysiologischen Befunde mit denervationszeichen und spontanaktivitäten in verschiedenen Muskelgruppen und Schädigungszeichen des 2. und fraglich auch des 1. Motoneurons, bestätigte sich der v.a. eine systemische degenerative Motoneuronenerkrankung / ALS … in zusammenschau der klinischen und elektrophysiologischen Befunde begannen wir mit einer medikamentösen Therapie mit Riluzol… bezüglich der chronisch-degenerativen Erkrankung und der daraus resultierenden Belastung im alltäglichen leben wurde der sozialdienst eingeschaltet und mit der Patientin über das weitere vorgehen gesprochen. in einem ausführlichen Abschlussgespräch im beisein der Eltern wurde über den schweregrad der Erkrankung gesprochen.