Verlangen

Nein, nicht nach Schokolade oder was man sonst so denken würde….

Ich habe einfach diese große Sehnsucht in mir das alles wieder ganz normal ist. Aber was ist schon normal?

Erst mal ein paar Worte zum derzeitigen Stand:

Nach all den Untersuchungen steht nun immer noch fest das ich ALS habe… wahrscheinlich irgendeine , völlig überflüssige Mischform, irgendetwas das sich blöderweise oder aber auch glücklicher weise nicht an die Spielregeln einer normalen ALS hält.

Blöderweise weil ich mit den Augen diese Probleme habe und es sich einfach nicht bessert und weil meine Verbindung zur Blase abgebrochen ist und noch ein paar weitere problematische Dinge dazu gekommen sind.

Glücklicherweise weil ich noch lebe, was ich wohl bei einer “normalen” ALS nicht mehr tun würde.

Der letzte Arztbesuch war ernster als die anderen. Mir wurde nun empfohlen meine Atmung untersuchen zu lassen. Außerdem wurde mir ans Herz gelegt nicht mehr abzunehmen. Nicht weil ich untergewichtig bin, sondern weil es einfach nicht gut ist für den Körper wenn ich weiterhin abnehmen würde… es sind jetzt fast 20 Kilo, obwohl ich dies gar nicht so empfinde.

Meine Sprache ist immer noch gut… leider fange ich nun an am Nachmittag etwas zu nuscheln an, alles etwas runder zu sprechen, es wird eben schwerfälliger aber man versteht mich un das ist ja eben das was zählt. Im Moment bewege ich mich fast nur noch in Zeitfenstern, was für mich wirklich sehr frustrierend ist. Morgens wache ich total gerädert auf, bin etwa fit bis 12 Uhr und dann merke ich wie ich abbaue. Meistens esse ich Mittag im Bett in Ruhe, ich bin einfach so müde, unfassbar müde und ich verschlafe fast jeden Nachmittag. Was mich persönlich wirklich fertig macht, denn ich habe ja Familie und Kinder mit denen ich die Zeit verbringen möchte, aber es ist einfach nicht möglich wach zu bleiben. Gestern waren wir beim Amt um neue pässe machen zu lassen und leider überkam mich dort auch diese Müdigkeit und so nick ich dann einfach mal im Rollstuhl ein :-( Wenn ich dann nach einem Ausgedehnten Mittags-Marathon -Schlaf wach werde, könnte man ja meinen das ich fit bin, ausgeruht und voller Energie, aber so ist es leider nicht. Wach werde ich weil ich dolles Herzklopfen habe und mich grottenschlecht fühle. ich würde lieber nicht schlafen um dieses Gefühl zu vermeiden aber ich schaffe es nicht… ich habe nicht das Gefühl schlecht Luft zu bekommen, aber irgendwas scheint wohl nicht in Ordnung, was man auch an meinem Puls von mindestens 100 merkt. Naja, ich vergebe mir ja nichts und mache nun die Untersuchungen…. egal wie, es muss eine Lösung her, so kann ich es kaum ertragen.

Meine Verkrampfung im Gesicht ist viel besser und meine immer wieder kehrenden Entzündungen im Mund sind auch endlich fast abgeheilt.

Mein Katheter – Kumpel hat sich nun endlich mit mir angefreundet und die Wechsel können nun schon ohne Führungsdraht gemacht werden. Eine Sorge weniger!

Meine Stimmung ist dennoch gut und ich habe Hoffnung das die Ärzte auch dies mit der Müdigkeit in den Griff bekommen und wer weiß, vielleicht habe ich auch einfach nur eine ausgeprägte Frühjahrsmüdigkeit… wenn doch endlich der Sommer kommen würde.

Trotzdem ist es so das mich im Moment oft Gedanken einholen wie: Ach könnte ich doch nur… hätte ich doch nur… wäre es doch nur möglich… ich weiß das dies eigentlich überflüssige und nicht gerade gute Gedanken sind, aber sie kommen nun mal. Was soll ich tun? Ich versuche sie zur Seite zu schieben und mir vor Augen zu halten wie gut es mir noch geht, wie beschenkt ich mit meiner Familie bin und den vielen lieben Menschen um mich , das wir ein Dach über den Kopf haben und zu essen… aber trotzdem schlummert in mir eben dieses Verlangen unsere Situation zu verbessern. Mal keinen Kampf um Hilfsmittel, mal keine sorgen ums Geld. Ich habe das Gefühl das mich die große weite Welt ruft…. aber warum gerade jetzt? Warum muss vieles so schwierig oder unmöglich sein? Warum muss man sich abgewöhnen noch irgendwas vom Leben zu erwarten? Warum sich beschränken im Denken und im Handeln? Ich kann nicht mal sagen : “Ach hatte ich doch nur” weil so vieles einfach nicht möglich war! Vielleicht gut, denn so ist es nicht meine Schuld aber dennoch fast unerträglich…

Ich würde meinen Kindern gern ein anderes Leben bieten mit weniger Ängsten und Sorgen aber ich schaff es einfach nicht… und gerade in Momenten wie diesen scheint mir der Name dieser Homepage wieder so passend “Hetzjagd”

Irgendwie hetz ich mich selber aber was bleibt mir anderes übrig? Wenn ich es jetzt nicht versuche, wann dann? Auf was soll ich warten?

Ich weiß das alles, bin mir bewusst wie reich mein Leben trotz allem ist, aber manchmal fühle ich mich mit meinem Leben wie in einer unglücklichen Ehe, in der sich einer schon lange entliebt hat. Nicht ich, ich liebe das Leben, manchmal komme ich mir so vor als wenn es nur aus Verantwortungsbewusstsein bei mir bleibt und die guten und wunderbaren Momente immer weniger werden…. Ich gebe mir große Mühe mit der Beziehung zu meinem Leben, aber ich würde mir wünschen das es mich mal in die Arme schließt und mich auf die Stirn küsst und sagt “Alles wird gut, wir haben gerade eine schwere Zeit, aber die stehen wir durch und danach wird alles besser”!

Aber egal, nennt mich Stalker oder wahnsinnig ich bin ein Fan von diesem leben und werde es nicht loslassen, nicht in Ruhe lassen und nicht gehen lassen, wenn nötig kette ich mich Handschellen an dieses Leben!

Aber eben dieses Verlangen nach leben, nach Glück nach guten und sorgenfreien Momenten ist so stark in mir das es mich machmal zu zerreißen scheint…

Aber nun, gerade kommt die Sonne heraus als hätte sie mein flehen erhört, werde ich den Tag genießen, nicht an Morgen denken und jedem wunderbaren Moment so begegnen wie er ist: nämlich WUNDERBAR!

 

 

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2 Responses to Verlangen

  1. Beate Schmitz-Rundholz

    Wunderbare berührende Worte, Sabine. Mach doch ein neues Buch mit deinen Tagebuchaufzeichnugen. Viele fragen sich doch, wie lebt man mit einer unheilbaren Krankheit, und du gibst uns so tiefe Einblicke in deine Seele. Ich bewundere deine Stärke. Auch wenn du das Gefühl hast, den halben Tag zu verschlafen….wenn du wach bist, bist du mit deinem ganzen Herzen present…bei deiner Familie, deinen Freunden…du hast so viel zu geben. DANKE, dass es Dich gibt.
    liebe Grüße von Beate

  2. Claudia Quintela

    Meine liebe Sabine,
    ich habe gerade deinen neuen Eintrag gelesen und wie so oft haben deine Worte Spuren in meinem Herzen hinterlassen. Ich weiß genau, was du fühlst. Natürlich ist meine Erkrankung auch nicht annähernd mit deiner zu vergleichen, aber diese Symptome mit dem extremen Herzrasen nach dem Aufwachen und der hohen Pulsrate habe ich ja auch begleitet von Einschlafmyoklonien. Ich denke der Lebensdurst, den du im Moment verspürst, ist völlig normal, weil es dir gerade nicht gut geht und wir alle ja wissen, was ALS bedeutet. Zu gesunden Zeiten hat das Wort ZEIT eine ganz andere Bedeutung. Es gibt ja ein morgen…ein übermorgen…nächste Woche…nächsten Monat…nächstes Jahr. Zeit zu haben ist so selbstverständlich, so normal, so unwichtig. Wie wichtig ZEIT ist, spüren wir in dem Moment, wo sie uns zwischen den Fingern zu zerrinnen scheint. Dann quälen einen so oft Gedanken, die mit “hätte ich damals nur” oder “könnte ich doch noch”. Das ist vielleicht eine der Lehren, die man aus einer solchen Krankheit zieht und das, was ich versuche auch meinem Sohn zu vermitteln. Lebenszeit ist nichts selbstverständliches sondern ein wunderbares Geschenk, das man in jeder glücklichen Sekunde auskosten muss, so wie du das tust, meine liebe Sabine. Viele Dinge wissen wir Menschen leider erst so richtig zu schätzen, wenn wir sie verloren haben. Du bist mir wirklich sehr ans Herz gewachsen, Sabinchen und ich wünsche dir, dass dir dein unerschütterlicher Optimismus erhalten bleibt, egal wie steinig der Weg noch wird. Fühl dich ganz doll gedrückt von deiner Claudi

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