In diesem Moment…

Gerade jetzt, in diesem Moment habe ich das Gefühl mich aus allem raushalten zu wollen, die Verantwortung ab zu geben, einfach etwas Neues zu beginnen, Frei zu sein…

Eigentlich denke ich schon die letzten Tage darüber nach! Aber auch darüber was die Krankheit und die Umstände mit mir und aus mir gemacht haben.

Versteht mich bitte nicht falsch, aber ich erfahre jeden Tag von so viel Leid und so viel Trauer das manchmal für mein eigenes Leid und meine eigene Trauer kein Platz mehr ist. Natürlich wird mir dann auch bewusst was ich für ein Glück mit diesem langsamen Verlauf habe, aber ich habe im Moment das Gefühl das die Sabine in mir zu kurz kommt.

Sicher liegt das auch daran das wir erkannt haben das dieses Jahr das Campen wirklich wirklich umständlich wird und ich sogar schon in meinem stillen Kämmerlein darüber nachgedacht habe diesen Urlaub ab zu sagen. Aber ich kann es einfach nicht, ich kann nicht kapitulieren, ich liebe das Campen und diese Abenteuer und die Freiheit so sehr. Wenn ich nur daran denke, es aufgeben zu müssen, wird mein Herzlein schwer! Also ziehen wir es dieses Jahr durch und hoffen für nächstes Jahr auf ein Wunder… vielleicht wächst unser Bus ja bei guter Pflege noch ein bisschen in die Länge und die Höhe :-)

Ich weiß ja nicht wie oft Ihr schon daran gedacht einfach mal auszusteigen? Ich denke gerade ernsthaft darüber nach! Ich mein, ich will nicht in abgelegene Länder oder auf eine Insel (es sei denn es ist England ;-) ) ich würde ja auch nie meine Familie und meine Kinder alleine lassen!!!!! Ich meine mit dem Aussteigen einfach mal raus aus dem Alltag aus den miesen Gedanken und dafür in ein Land in mir reisen mit viel Glück und Freude… sofern es möglich ist!

Ich bin einfach so super unzufrieden, mit mir, mit den Umständen, mit dieser Welt… ach irgendwie bin ich gerade mit der Grundsituation unzufrieden.

Ich versuche so positiv zu sein wie es möglich ist und doch muss ich oftmals nur über negatives berichten, ich weiß ja auch das es notwendig ist und wenn ich gefragt werde oder gerade so sauer bin über zum Beispiel die Hilfsmittelversorgung mache ich es ja auch, aber ich glaube, ich kann das einfach nicht mehr.

Die meiste Zeit des Tages verschlafe ich und die übrige verbringe ich, wenn ich sie nicht mit meiner Familie verbringe, damit zu kämpfen oder vehement etwas ein zu fordern. Und immer wieder merke ich das dies doch einfach nicht das ist was glücklich macht.  Was kann ich, kleines Persönchen, auch schon großartig ausrichten???

Daher habe ich beschlossen einfach viel mehr über positive Dinge zu berichten! Es gibt soviel gute Dinge in meinem Leben, deren Erwähnungen einfach zu kurz kommen!

Wahrscheinlich bin ich nicht die typische ALS – Kranke, nicht die typische Rollstuhlfahrerin und irgendwie auch nicht die typische Kämpferin!

Gestern saß ich im Rolli vor meinem Kleiderschrank und habe meine diversen Jacketts bestaunt, ich habe schwarze, blaue, rote, besonders viele grüne, eins mit Punkten und und und… ich hab mich gefragt ob ich jedes schon einmal an hatte? Ja, für irgendeinen Auftritt… dabei hasse ich Jacketts… lustig oder? Die sind total unbequem und passen so gar nicht zu meinem Charakter… also wenn noch Jemand ein Jackett braucht könnt ihr euch gerne bei mir melden :-D

Was ich aber eigentlich damit sagen will ist das mir meine Rolle irgendwie auch unbequem erscheint, klar da ist zum einen diese Scheißdrecks Krankheit, die sich sich nicht darauf beschränkt mir immer mehr das selbstständige Bewegen zu nehmen, NEIN, diese mistige Krankheit hat beschlossen auch noch andere Bereiche in meinem Gehen zu befallen und dabei kann ich nicht mal sagen ob sie es ist oder ob sie sich mit irgendetwas Verbündet hat… und mittlerweile ist es mir auch scheißegal. Gut, habe ich halt irgendeine Mischform, die eigentlich sowieso kein Mensch braucht, ABER einen Namen bekommt dieser Mist von mir ganz bestimmt nicht!!!!

Letztes Jahr, als ich dachte das ich doch eventuell etwas anderes habe und voller Energie und Motivation diesen Untersuchungsmarathon hinter mich gebracht habe, habe ich echt und in Wirklichkeit gedacht das wir diese Krankheit jetzt in den Griff bekommen und ich habe mir wahnsinnig viele Gedanken darüber gemacht, wir haben viel darüber geredet und mein Gesundheitszustand rückte auf einmal mehr denn je in den Mittelpunkt. Das Ergebnis daraus war wirklich ernüchternd. Nun weiß ich also was in meinem Gehirn nicht mehr in Ordnung ist, die ganze Krankheitskacke wurde aus dem Koffer unter dem Bett heraus geholt, ja sogar förmlich auf den Tisch gekippt und jedes kleinste Bauteil noch mal genauestens betrachtet. Danach haben wir einen größeren Koffer besorgt um all die Scheiß Informationen auch unter zu bekommen und jetzt passt er nicht mal mehr unter das Bett!!! Verdammte Axt!!!! Und wisst ihr was? Ich glaube diese Mist Krankheit hat einen sehr miesen Charakter, denn in dem Moment als ich so richtig wieder Hoffnung hatte, ja mir sogar ausgemalt habe wie es wäre ohne diese Sanduhr leben zu können die schon so viele Jahre über mir schwebt, legte sie noch mal eine Schippe drauf! Erzieherische Maßnahme irgendwie. Und da wurde mir auf einmal noch mal und noch viel bewusster klar das es vermessen ist zu erwarten das man noch lange lebt, das man das Leben jetzt leben sollte, das man gut leben sollte mit sehr sehr viel Liebe. Dazu brauchte ich noch nicht mal ein erhöhtes Bewusstsein erreichen oder etwas ähnliches, diese Schlussfolgerung war rein pragmatisch.

Es ist eben wie mit den Tigern im Zirkus, sie werden gezähmt und der Dompteur meint er könnte sie in Schacht halten, ihnen ihren Instinkt nehmen und ihren Drang nach Freiheit, er meint ernsthaft er könne vom Opfer zum Herrscher werden und dann, wenn er meint er könnte sie beherrschen kann es sein das sie in in Stücke reißen… also Obacht welchen Tiger man meint bezwingen zu können…

Denn ein wildes Tier ist ein wildes Tier und eine Krankheit anscheinend Krankheit. Der Instinkt eines wilden Tieres ist es zu jagen, der Instinkt einer Krankheit ist es zu zerstören. Zerstören ist da um einiges niederträchtiger. Ein Tier Jagd um zu fressen, diese Krankheit frisst mich, einfach so ohne Grund, wirklich verabscheuungswürdig …

Ich fühle mich geehrt das ich von einigen von euch als Kämpferin bezeichnet wurde oder sogar als Vorbild … aber das bin ich doch wirklich nicht, und wenn ja, dann möchte ich das doch gar nicht sein!

Ich bin nicht nur die rothaarige im Rollstuhl oder die Frau mit ALS. Ich bin Sabine… vielleicht, das muss ich zugeben, bin ich etwas putzig, aber in Wirklichkeit bin ich noch viel putziger als ihr alle denkt! Als ich noch klein war hatte ich total viele Puppen und ich habe alle gewissenhaft umsorgt, gekämmt und angekleidet. Klar hatte ich eine Lieblingspuppe, aber das hätte ich den anderen Puppen natürlich nie verraten ;-) und jeden Abend wenn ich ins Bett ging, wusste ich nicht welche Puppe ich mit ins Bett nehmen sollte, ich wollte doch nett zu allen sein denn ich hatte sie ja alle lieb, das war ein großes Problem für ein so kleines Mädchen und im Nachhinein betrachtet brauchte ich da wohl schon eine Welt die im Gleichgewicht ist und in Ordnung ist…Tja, nun schaut euch mal an wo ich gelandet bin… da könnte man beinahe drüber lachen!

Wie auch immer… ich hab so unfuckingfassbar keinen Bock mehr auf diesen Kreislauf in dem ich mich gerade befinde das ich jetzt einfach alles hinschmeiße und Fee werde…

Häh? Ja genau, ich werde Fee, nicht Prinzessin! Mal ehrlich, bei genauerer Betrachtung, wer will schon Prinzessin werden? Die steifen Kleider, die Etikette, das Frösche küssen… und dann später soll man regieren und über das Volk bestimmen… ist doch irgendwie viel zu formell, oder? Und was da alles von einem erwartet wird… puuuuuhhhhh

In diesem Sinne werde ich mir mal einen Traum erfüllen und das ist nicht die Welt zu bereisen oder schwerelos im Weltall zu schweben… ich wollte einfach schon immer jeden Tag einen wunderschönen weiten Rock oder ein hübsches Kleid tragen und das werde ich jetzt einfach tun, vielleicht stecke ich mir noch ein paar Blumen ins Haar wer weiß, nur eins ist klar ich werde meine Momente die ich erübrigen kann ab jetzt damit verbringen das Leben zu feiern.

Seid mir nicht böse aber manchmal gibt es Zeiten des Kampfes und manchmal Zeiten des Feierns

Natürlich werde ich euch weiterhin, wenn ihr das möchtet an meinem Leben teilhaben lassen… und es ist ja nicht ausgeschlossen das man auch im Kleid etwas bewegen kann ….

 

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2 Responses to In diesem Moment…

  1. Hallo Sabine, deine neue Einleitung sagt soooo viel aus…ich sitze hier beim Kaffee mit Tränen in den Augen und einem Lächeln nur für dich! Stelle mir gerade vor,wie du mit Blümchen im Haar und einen tollem Kleid/Rock freudig einen sonnigen verbringst! Recht hast…mach nur was Du willst….und dir gut tut!! Du bist toll…

    Ganz liebe Grüße
    von Kerstin *Sabine Jung

  2. Sandra Flesch

    Liebe Sabine!

    Sieh es mal von einer etwas anderen Seite, du bist nicht nur Vorbild bezüglich kämpfen, du gibst einfach sehr vielen Menschen neuen Mut und lässt uns erkennen, wie dankbar wir für viele Dinge dieses Lebens sein sollten.
    Deine schonungslose Ehrlichkeit hilft auch anderen, nicht erkrankten Menschen, vielleicht etwas besser nachvollziehen zu können, mit welchen Hindernissen abgesehen von den körperlichen Dingen, sich viele chronisch kranke Menschen herumschlagen müssen.

    Dafür möchte ich mich bedanken, denn das hilft, in der Gesellschaft mehr Verständnis zu schaffen.

    Ich wünsche dir wirklich von Herzen alles Gute!

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