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Fussball

Letztens saß ich, mit meinem Mann und meinem Sohn im St. Pauli Stadion am Millerntor! Ausverkauft!

Ein spannendes Spiel. Um mich herum die jubelnden Fans, Fahnen werden geschwenkt, St. Pauli Hymnen werden kraftvoll, beteuernd und lauthals gesungen.

Und dann auf einmal frage ich mich:” Was mach ich hier eigentlich”? Ich kenne keine einzige Fussballregel, schaue den 22 Männern zu, die hin und her, kreuz und quer über den Platz rennen, obwohl ich selbst schon seit Jahren keinen einzigen Schritt mehr gegangen bin.

Ein Raunen fährt durch die Masse, die Gesichter der Menschen imitieren ein schmerzverzehrtes Gesicht. Vielleicht fühlen sie auch wirklich den Schmerz des St. Pauli Spielers der durch ein Faul zu Boden geht. Er wälzt sich hin und her, hält sein Knie. Einige Schreien: ” Schiri, Schiri” oder “Buh, das war ein Faul” Es wird wild gestikuliert. Ein Freistoß besänftigt die Gemüter und vertreibt den Schmerz des Spielers. Seine Kameraden helfen ihm wieder auf die Beine, klopfen ihm auf die Schulter, ein Spieler der anderen Mannschaft reicht ihm versöhnend die Hand.

Sturm Richtung gegnerisches Tor, am “Feind” vorbei, Schuß…. Ahhhhhhh, uhhhhhh, über das Tor! Ein kurz aufbäumendes Glücksgefühl verebbt viel zu schnell während die Gegner schon auf das St. Pauli Tor zu rasen!

Ich schaue in die Augen von meinem Sohn, der immer noch stehend, mit aller Kraft hofft das seine Mannschaft gewinnt.

“Hoffentlich wird er nicht enttäuscht” denke ich! Und wir haben Glück, St. Pauli gewinnt an diesem perfekten Sonntag! Was für eine Stimmung! Goldenes Konfetti tanzt zu Boden, die Hymnen sind noch lauter als zuvor, die Fans liegen sich in den Armen. Und ja, auch mich ergreift dieses Gefühl von Sieg und Zusammengehörigkeit!

Warum also bin ich, als Rollstuhl führende Frau, ohne Kenntnis über Fußball, absoluter Fan dieser Mannschaft und beobachte und lebe 90 Minuten dieses Spiel?

Zu erst ein mal natürlich wegen meinem völlig Fussball verrückten Sohn, weil wir etwas gemeinsam machen, weil ich ein Teil der Welt seines Lebens bin, die ihm wirklich wichtig ist. Weil es wunderbar unkompliziert ist im St. Pauli Stadion, trotz des Rollstuhls live dabei zu sein. Dank Jörn, dem Behindertenbeauftragten des Vereins, der immer Zeit für ein kurzes nettes Gespräch hat und sich erkundigt ob alles in Ordnung ist und wie es mir geht! Wir sitzen ganz Vorne am Spielfeld, was mein Sohn natürlich als äußerst positiv bewertet. Ich muss gestehen dass ich schon des öfteren mal Angst habe einen Ball ab zu bekommen.

Schlussendlich ist es aber so das es sich gut anfühlt ein Teil dieser Menschen zu sein. Es zählt nicht die Art deiner Behinderung, deine Hautfarbe oder deine persönliche Einstellung zu, egal was. Du bist Fan dieses Vereins also bist du gleich! Mich beeindruckt die Verbundenheit zu dieser Mannschaft, ich fiebere mit, stimme in die Gesänge mit ein, Jubel mit und finde manche Entscheidungen ungerecht. Manchmal verstehe ich nicht warum ein Tor nicht gegeben wird obwohl der Ball im Netz gelandet ist:” Abseits” erklärt mir mein Sohn. Und sofort geh ich konform mit der Enttäuschung aller.

Was mich, schon immer unsportliche, jetzt seit Jahren im Rollstuhl sitzende, Fußball Unwissende mit diesem Verein, oder generell mit dem Fußball verbindet?

Es ist das Gefühl!

Fast dreißigtausend Menschen, die sich absolut einig sind, nämlich das dies IHR Verein ist und sie gewinnen sollen. Aber es ist auch dieser ungebrochene Glaube an diesen Verein, die Loyalität an die Spieler und den Trainer zu glauben, Fan zu bleiben, selbst wenn sie verlieren. Gesänge die nicht verhallen, weil man zurück liegt, sondern die dann wie beschwörend gesungen werden, mit der Botschaft: “Ihr schafft das, wir glauben an euch!” Als könnte man den Ball noch umlenken, mit seinem Gesang und er überfliegt letztendlich doch die Torlinie.

Ich fühle mich gut dabei zu sein und irgendwie ist es ein bisschen wie das Leben.

90 Minuten, ein Leben, in dem es darauf ankommt. Momente in denen du glaubst du würdest Siegen und dann wirst du gefault, stehst doch im Abseits oder die Kraft und die Konzentration reicht doch nicht aus.

Ein Kampf bis zur letzten Sekunde. Angriff, Konter, Chancen! Siege, aber auch Niederlagen, manchmal ein Unentschieden. Ein Faul des Gegners, ein Elfmeter und dann doch der Triumph eines Tores. Schmerzen, Schweiß und voller Körpereinsatz, bis zu Erschöpfung.

Ja, so fühle ich mich manchmal auch!

Und dann gibt es meine Menschen um mich herum! Manche, wie meine Familie und meine engsten Freunde, spielen in meinem Team und rennen mit mir über die Mittellinie, passen mir zu, legen mir vor und helfen mir auf, sollte ich fallen! Es gibt “Fans” meines Lebens, sie jubeln für mich und fühlen mit mir, wenn ich am Boden liege und Schmerzen haben und bauen mich, mit immer wiederkehrenden Sprechgesängen auf wenn ich eine Niederlage erlebt habe. Sie schmeißen nicht ihre Dauerkarte für mein Leben sofort bei dem ersten Unentschieden weg, sondern sehen das ich wenigstens nicht verloren habe.

Und letztlich: “Nach dem Spiel, ist vor dem Spiel” und : “Das Spiel gilt erst als beendet wenn der Schiri abgepfiffen hat”. So ist es doch auch im Leben: Nach dem Tag, ist vor dem Tag und das Leben ist erst beendet wenn der letzte Atemzug getan ist! Wichtig ist dass du eine Mannschaft um dich herum hast mit der das Zusammenspiel klappt, dass du anspielbar bleibst und dich frei kämpfst um Bälle spielen zu können. Das du aus der Deckung gehst und weisst wann es besser ist auf Angriff zu spielen und wann es an der Zeit ist defensiv zu bleiben um nicht das zu riskieren was du hast. Aber bei allem Siegeswillen sollten wir das Fairplay und die Regeln beachten, denn nur dann ist es doch ein verdienter Sieg, oder?

Diese Besuche im Stadion inspirieren und beschäftigen mich! Vielleicht auf eine andere Weise als es die anderen Fußballfans beschäftigt denen es rein um den Sport geht, aber es ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Sicherlich auch weil ich selten so viele Menschen gesehen und gefühlt habe, die so sehr gemeinsam für die gleiche Sache sind bis mir klar wurde das ich das mit meiner Familie und meinen Freunden schon lange erreicht habe! Beste Vorraussetzung also sich dem Spiel, dem Leben zu stellen!

Ich bin definitiv ein St. Pauli Fan und ein Fan vom Leben!

Gerade ist unser, mein, Spiel schwierig. Ich bin ausgelaugt nach der Krankheitswelle die über uns herein brach. Meine Mundentzündung war diesmal schlimmer als alle anderen davor, aber ich versuche die Gesänge zu hören, die mich aufbauen und ich weiss: dieses Spiel ist noch nicht zu ende!

Diese Lust und dieser Wille zu leben ist noch da, das ist gut zu wissen, oder?

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